„Wir wollen unser Fleisch über die Direktvermarktung und nicht den Lebensmitteleinzelhandel verkaufen, damit Milch und Fleisch in einem direkten Zusammenhang stehen.“
Im Rahmen des Projekts „Milch und Fleisch gehören zusammen“ der Ernährungsräte Frankfurt und Marburg & Umgebung haben sich verschiedene Ziegen-, Schaf- und Kuh-Milchbetriebe zusammengefunden, um die Herausforderung der Vermarktung von Jungtieren, die nicht für die Herde bestimmt sind, zu verbessern. Die Probleme, die die Betriebe umtreiben sind sehr vielfältig – jeder Betrieb, alle bio-zertifiziert, arbeitet anders, hat eine unterschiedlich große Herde und somit mehr oder weniger Jungtiere und eine eigene Vermarktungsstruktur aufgebaut.
Eine Gruppe muss sich erst finden – das ist Arbeit und erfordert einen langen Atem.
So ist der Prozess, des „sich in der Gruppe finden“ komplex, nimmt Zeit in Anspruch und muss immer wieder überprüft werden. Die Ziele, die alle Erzeuger:innen verbinden wurden schnell identifiziert: Erstens, sollen langfristig möglichst alle Tiere auf dem Hof aufgezogen werden. Zweitens, ist es wichtig, dass das Bewusstsein der Verbraucher:innen für bäuerliche Betriebe, ihre verschiedenen Wirtschaftsweisen und ihre Herausforderungen sensibilisiert wird. Dadurch erreichen wir, dass sowohl die Tiere als auch die Arbeit mehr wertgeschätzt werden. Als Konsequenz sind die Menschen bereit, richtige und faire Preise für die Schlachttiere zu bezahlen. Drittens, im Gegensatz zum Ansatz der Brudertiere geht es nicht darum, das Fleisch über die Milch (bei den Hähnen über das Ei) zu subventionieren. Vielmehr sind sich die Betriebe einig, dass sie qualitativ hochwertige Produkte erzeugen und dadurch die Direktvermarktung einfacher wird, insbesondere wenn die Kommunikation nach außen stimmt.
Unser Ernährungssystem ist komplett unnatürlich geworden. Um zurück zu natürlichen Vorgängen zu gelangen, benötigt es Pioniere, die „Stopp“ sagen.
Unser globaler Fleischkonsum und somit natürlich die Tierhaltung allgemein läuft allen Ansätzen nachhaltigen Wirtschaftens und Konsumierens entgegen. Die Tierindustrie stößt 15% der Gesamt-Emissionen aus und 60% des gesamten Methans. Jährlich bringen wir global gesehen Futter für 80 Milliarden Schlachttiere (Stand: Jahr 2018) auf, dafür werden wir bis 2050 rund 40% der Amazons-Urwälder zerstört sein. Schlachttier-Rassen werden kontinuierlich auf noch mehr Produktivität gezüchtet, was zu enormen gesundheitlichen Problemen bei den Tieren führt. Osteuropäische Arbeiterinnen und Arbeiter werden in der deutschen Fleischindustrie ausgebeutet und parallel dazu subventioniert die Bundesrepublik Deutschland die Tierindustrie mit 13 Milliarden Euro. Der Handel drückt die Preise so stark, dass die Erzeuger:innen, die ihre Ware in den Handel geben, nur überleben können, wenn sie möglichst viel möglichst billig produzieren.
Im Gegensatz dazu stehen kleinbäuerliche Betriebe, die ihre Tiere mehr wertschätzen wollen und sich auch bei den Verbraucher:innen für mehr Wertschätzung einsetzen. Sie möchten ihren Tieren sowohl ein tiergerechtes Leben als auch einen möglichst ruhigen und schnellen Tod ermöglichen. Doch das ist nicht so leicht, wie es klingt.
Die Vermarktung, besonders aber die Direktvermarktung, ist aufwendig und kostenintensiv.
Bis das Fleisch bspw. vom Schaf gekauft werden kann, muss der erzeugende Betrieb einiges an Geld investieren ohne zu wissen, ob und wann er seine Tiere rentabel verkauft.
In dem Schafmilch-Betrieb in unserer Runde wird das Lamm schon nach kurzer Zeit anstatt mit Muttermilch, mit Kuhmilchpulver ernährt – denn der Betrieb benötigt schlicht die Milch für seinen Käse.
“ Würde ich kein Milchpulver verwenden sondern die Lämmer an der Mutter saufen lassen, wäre das überhaupt nicht darstellbar. Die Wertschöpfung pro Liter Milch ist bei der Verarbeitung ein vielfaches höher als die Kosten für das Milchpulver.“
Milchpulver pro Lamm kostet ca. 80 €, dazu kommen 50 € für Kraft- und Grundfutter sowie Tierarztkosten von ca. 10 €. Schlachtung (40 €), Zerlegung (30 €) und Transport (40 €, Schlachthof und Biometzger sind ca. 170 km entfernt, für den Betrieb eigentlich viel zu weit, doch Alternativen fehlen derzeit), Verpackung (15 €) kommen hinzu. Bereits ohne die Arbeitserledigungskosten für die Aufzucht der Lämmer liegen die Kosten bereits bei 265€. Ein Lamm ist ab ca.. 5-6 Monaten schlachtreif und wiegt dann 20 kg. Somit entstehen im Vergleich zu konventionellem Supermarktfleisch hohe Preise für die Endkund:innen– eine Keule kostet bis zu 90 €, der Durchschnittspreis pro Kilo liegt bei 18-25 €.
Egal wie die Tiere gefüttert werden, Hauptsache sie bleiben auf dem Hof.
Ziegen und auch Schafe bekommen jährlich 1-2 Jungtiere, um weiter Milch geben zu können. Die geborenen Jungtiere trinken dann die Milch der Muttertiere, was natürlich in direkter Konkurrenz zum menschlichen Konsum von Milch und Käse steht. Die Erzeugerinnen und Erzeuger in diesem Projekt gehen unterschiedlich mit der Thematik um. Somit waren die Diskussionen zu diesem Thema teilweise hitzig. Doch der Konsens war gefunden: Wichtig für uns ist, die unterschiedlichen Praktiken nicht zu werten, sondern die Hintergründe zu verstehen. Der eine Hof trennt die Tiere recht früh, um weiter Milch und Käse produzieren zu können und füttert sie mit Milchpulver. Der andere Hof kalkuliert nicht so eng und lässt die Tiere möglichst lange am Euter, lässt die Tiere sobald wie möglich auf der Weide grasen und füttert mit Kraftfutter zu, damit sie mehr Fleisch ansetzen. Egal, was die Tiere fressen, wichtig ist allen teilnehmenden Betrieben, dass die Tiere auf ihrem Hof bleiben können, bis sie geschlachtet werden. Dieses Ziel stand schnell fest.
Diese Praxis ist aber nicht die Regel: Viele – auch Biobauern – verkaufen zu sehr geringen Preisen ihre Tiere an konventionelle Mastbetriebe (ein 2 Wochen altes Lamm bringt ca. 15 €). Im schlechtesten Fall werden die Tiere von Hof zu Hof gefahren, bis sie ihr Ende finden. Im besten Fall – und das ist das Ziel dieses Projekts – bleiben die Tiere auf dem Hof und werden lokal/regional geschlachtet, und zwar erst, wenn sich bereits Abnehmer:innen gefunden haben. Alleine der Verzicht auf lange Transportwege bringt schon einen gewaltigen Mehrwert beim Tierwohl – auch hier sind sich die Erzeuger:innen in dieser Runde einig. So können die Betriebe nicht nur sicherstellen, dass es den Tieren in ihrem kurzen Leben gut geht, die Verbraucher:innen können sogar die Länge des Lebens der Tiere mitbestimmen.
Qualitätsfleisch aus der Region
Geht es darum, Premiumfleisch anzubieten, lohnen sich Arbeits- und Kostenaufwand – so sind sich alle Betriebe einig, dass sie Fleisch höchster Qualität vermarkten können. Schön wäre es allerdings für die Betriebe, wenn sich der Aufwand der Vermarktung (Bestellungen organisieren, Fleisch schlachten, Rechnungen bezahlt bekommen, Fleisch entsprechend verteilen) reduzieren lässt. Aus diesem Grund wurden und werden verschiedene Vermarktungssysteme diskutiert. Eine einzige Direktvermarktungsstrategie zu entwickeln ist uns nicht gelungen – zu unterschiedlich sind die Präferenzen der Betriebe (von physisch auf dem Markt über E-Mail Kontakt bis hin zu Online-Shops). Aus diesem Grund haben wir uns darauf geeinigt, dass sich alle teilnehmenden Betriebe des Projekts auf www.regionalkarte-hessen.de präsentieren können und übersichtlich in Kartenform dargestellt werden. So kann jeder Betrieb seine eigene Vermarktungsstrategie vorstellen und die Nutzer:innen können die Betriebe online kennenlernen und entsprechend den Kontakt zu den Höfen suchen.
Wichtig hervorzuheben ist auch, dass es große Unterschiede bei der Tiervermarktung gibt: Ist die Kuh noch am einfachsten zu vermarkten, weil sie in Deutschland viel gegessen wird, haben es Schaf-, insbesondere aber Ziegenhalter am schwersten. Wir finden, zu Unrecht, denn die Ziege ist – richtig und mit Zeit zubereitet – eine Delikatesse. Somit ist es uns ein Anliegen, euch, den Verbraucher:innen, das Schaf und besonders die Ziege näher zu bringen, euch mehr von den Tieren, aber auch ihrer Milch und ihrem Fleisch, zu erzählen und euch gleich Hunger zu machen: Hier findet ihr ein von uns getestetes Ziegenbraten-Rezept. Wo und wie ihr Fleisch kaufen könnt, erfahrt ihr, wie gesagt, unter regionalkarte-hessen.de.